YAYA feiert neben dem Release ihres 4. Albums auch ihr Bestehen seit mittlerweile 30 Jahren.
Hot on a Pale Trail
Das Album beginnt mit einem – wie soll ich sagen? - musikalischen Trytichon. Es besteht also aus drei Teilen, die sich sowohl inhaltlich als auch musikalisch unterscheiden, aber doch an einer „Geschichte“ weben: die der Verweiflung der einigermaßen vernunftbegabten Menschen an den Katastrophen der Gegenwart und ihrer Protagonist*innen.
Teil 1 ist eine Art Bestandsaufnahme, deren Manko ist, dass man gar nicht schnell genug schreiben kann – und schon müsste die unheilvolle Liste aktualisiert werden.
Teil 2 ist der Versuch einer verzweifelten „Anrufung des Großen Bären“, sei es Gott, sei´s das Universum, auf dass Hilfe sei und die Blindenschrift der Heiligen Schriften lesbar werde, verständlich, mindestens tröstlich. Am Ende bleibt nur der heilige Ernst, der Kitsch, das letzte Denkbare: die Liebe, ein zartes Pflänzchen…
Teil 3 rekurriert auf Neil Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“-Thema: Haut Euch auf die Tanzfläche, bewegt Eure Ärsche, schmeißt Eure Drogen ein, auch Lingen ist eine Sackgasse:
„Die Welt ist krank“: „This is the final show! Give us a go!“
Teil 1 ist folk-rockig gesetzt, Teil 2 schwingt im 6/8-Takt, Teil 3 dann Funk!
From the Lowlands
Beschreibt die „Mühen der Ebenen“ (Bert Brecht) eines Teenagers, der nicht an die Mädchen rankommt, obwohl die Mucke (1967: A Whiter Shade of Pale usw.) das vollkommen ungerührt nahelegt. Eingerahmt ist das Ganze von einer durch einen kanadischen Kollegen gestiftete Begegnung mit Gord Downie, dem Sänger der in Kanada wohl populärsten Rockband: The Tradically Hip. Der starb im Oktober 2017 an einem aggressiven Gehirntumor.
Vorher bestand er auf einer Abschiedstournee der Band, die innerhalb weniger Minuten ausverkauft war. Ihr letztes Konzert wurde von 11,7 Millionen an den Bildschirmen gesehen, der Premierminister saß live in der ersten Reihe. Wie Downie (er trug einen „feathered hat“, um seinen Haarausfall durch Chemo zu kaschieren, und eine Socke um den Hals, um die angegriffene Stimme zu schonen) den Schmerz des nahe bevorstehenden Todes auf der Bühne und mit den Menschen – wie soll ich sagen? -: bearbeitete, hat mich weggehauen
(s.: https://www.youtube.com/watch?v=n8ffSi2dPtw oder, noch brutaler ab Minute 5 hier: https://www.youtube.com/watch?v=QqWCsHV1lmU ) [Was in Kanada los war (das Konzert wurde im ganzen Land übertragen, es gab unzählige „public viewings“), kannst Du hier sehen, musste aber nicht: https://www.youtube.com/watch?v=ghLk-BhT-P8 ].
Anyway: Ich habe mir also den Lick seines größten Erfolgs („Ahead by the Century“, s. Link 1) „geliehen“ und (mit akustischer Gitarre) verrockt und im Stück vorn und hinten ein bisschen was von ihm erzählt.
All you Pirates
Ein kleine Allegorie aufs Piraten-Dasein, in das sich ein kleiner, dicker Junge hineinträumt und das er mit seinen Freunden realisiert. Rock-Musik-Machen hat was davon, und so ist auch die Musik dieses Stückes: ermutigend, vorwärts treibend, gute Laune und basta!
Skies of Flashes Warm
Ist nicht mehr und nicht weniger als eine Ode auf die Freundschaft (und so wird auch die bekannteste aller Oden im Song zitiert)! Auf dass die Götterfunken am Ende doch noch zu sprühen beginnen – gute Freundschaft hat was davon! Trotz alledem und alledem.
Hot Shower of Power
Unser Halligalli-Stück – und ein Lobgesang auf alle Frauen unsres Alters (um die 70), die trotz des Silbers in ihren Haaren im Herzen Hippie geblieben sind: „shooting all her colours aroung – bang! bang!“
Dance The Deadline
Die musikalischen Wurzeln der Band liegen unüberhörbar im Rock der 60er und 70er Jahre, ansonsten verweigern wir uns jeder stilistischen Festlegung. Ulli Körte, der die Keyboards bespielt, inspirierte der Salsa seines Tanzkurses – daraus entstand die Latin-Rock-Nummer „Dance The Deadline“ – eine sanfte Form der kulturellen Aneignung und ein großer Spaß, wenn die Mutter den Sohn ermahnt, es wie Papa zu machen, pünktlich zur Arbeit zu gehen, sich auszuruhen und dann iweder verlässlich auf der Matte zu stehen…
Geena
Die eher tragische Geschichte einer Bekannten eines Band-Mitglieds führte zu dieser Undine-Ballade mit tödlichem Ausgang. Im Mittelpunkt die Eerkenntnsi der Unmöglichkeit ewiger Liebe, in die wir ein Motiv aus Händels Wassermusik eingewoben haben. Die klassische Undine muss zurück ins Wasser, sobald der irdische Mann ihr untreu wird. Diese Undine namens Geena dreht den Spieß um.
Year after Year
Erzählt von der Pandemie, allerdings aus der Perspektive des Virus´, das großen geradezu erotischen Spaß hat an seiner Freiheit, zu kommen und zu gehen, an jeder Art von Feuchtigkeits-Austausch interessiert ist und mit bösem Zynismus den Anstrengungen der Menschen folgt, Abstand zu halten und clean zu leben. Die aktuellen Bestrebungen verschiedener westlicher Geheimdienste und des BKA, den Chinesen eine Labor-Nachlässigkeit nachzuweisen, verweisen auf seine verschiedensten Möglichkeiten, immer wieder in die Schwächen des menschlichen Immunsystems einzudringen.
The Bloody Blunt Blues of Harold Shipman
Kurz vor Corona, im Juli 2019, trieb es YAYA nach Todmorden/Yorkshire, England, gelegen zwischen Manchester & Leeds. Todmorden ist etwas kleiner als Lingen und Partnerstadt von Bramsche (bei Osnabrück), wo unser damaliger Bassisten herkam. Das bescherte uns die kleine Tournee.
Berühmte Söhne der Stadt sind Keith Emerson (Emerson, Lake and Palmer) und John Helliwell (Saxophonist & Klarinettist bei Supertramp).
Der berüchtigster Sohn der Stadt aber ist: Dr. Harold Shipman (praktischer Arzt und Serienmörder). Von ihm erzählt der Song, sanft fiktional, im Kern aber streng auf Fakten bezogen*:
„Insgesamt starben während Shipmans medizinischen Behandlungen 459 Personen. Die genaue Zahl seiner Morde ist unklar. Der offizielle Untersuchungsbericht spricht von 215 bis 250.“**
Angeregt von dieser Ungeheuerlichkeit kam Theo, unser Lead-Gitarrist, mit dem blues-igen Grundmotiv für einen Song, der dann im Laufe der Zeit zu dem vorliegenden Werk wurde. In Todmorden präsentierten wir unsren nagelneuen Lick stolz dem Bürgermeister – nach dem Motto: Wir kommen gut vorbereitet! Er war gar nicht amused, sondern hoch-besorgt: „Oh no, please don´t sing it. If you do, the trauma´s back!“
Harold Shipman erhängte sich 2004 in seiner Zelle, also knapp 15 Jahre vor unsren Gigs und die Möglichkeit, dass Angehörige oder Freunde der Opfer im Publikum saßen, war mehr als wahrscheinlich.
Mittlerweile leben seine Frau und ihre vier Kinder mit neuer Identität – deshalb konnten sie im Song Erwähnung finden.
* Ritchie, Jean: Prescription for murder: The true story of mass murderer Dr Harold Frederick Shipman. Warner, London 2000, ISBN 0-7515-2998-2, S. 348 und 349.
** Reiner Luyken: Alle liebten Doktor Tod. In: Die Zeit. 8. September 2013.
Maybe
Auch sehr einfach: ein Liebeslied, trotz bester Gegenargumente!
How Dare
„Wir singen in finsteren Zeiten“, sagt Bernd Ruping, Sänger und Gitarrist der Band. Eine Menge davon könne man weg-rocken, aber es bleibe immer ein Rest, dem man sich stellen sollte. „Heitere Dinge zu erzählen oder das Wahre und Gute zu beschwören, fühlt sich derzeit sehr falsch an“, so Ruping. „Der leichte Atem, Optimismus, die Hoffnung auf einen Ausweg, das alles steckt viel eher in der Energie, die Rock-Musik entfalten kann – ob im Proberaum oder auf der Bühne und in der kollektiven Präsenz mit dem Publikum.“
Das Stück „How Dare“ entstand kurz nach dem Beginn des Angriffskrieges von Putin gegen die Ukraine. Die Nachrichten waren (und sind) alsbald voll mit Zahlen, Ziffern, Bezifferungen (Tote, Geldmassen, Eingezogene) sowie mit Bildern alter Menschen in Trümmern (Ukraine). „Do you believe in numbers…“ – ich denke, man kann den Text verstehen).
Es endet mit einem Bezug zu den Geschichtsphilosophischen Thesen von Walter Benjamin (1940), in denen das Bild vom „Engel der Geschichte“ zentral ist, der auf die Vergangenheit als einer einzigen Katastrophe zurückblicke und die Verwüstungen heilen möchte, aber vom Sturm unaufhaltsam in die Zukunft geweht werde. „Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.“
Darin eingezogen ist – mit dem urdeutschen Hänsel und Gretel-Verweis – ein wunderschöner Song(text) von Laurie Anderson: „The Dream before“, die sich ebenfalls auf Walter Benjamin bezieht.
[Kontext: In seinem Nachdenken „Über den Begriff der Geschichte“ kritisiert Benjamin auf der Flucht und unter dem Eindruck des Aufstiegs des Faschismus und des Hitler-Stalin-Paktes die historisierende Auffassung insbesondere der Sozialdemokratie und sucht nach Möglichkeiten einer Verbindung von historischem Materialismus und Messianismus – wo und was könnte Erlösung sein, wohin können wir uns wenden?]
PS. Im Bode-Museum, Berlin ist just eine Ausstellung zum Engel der Geschichte kuratiert worden.
Born on the Bad Side
Ist wohl das ungewöhnlichste Stück dieses Albums. Es folgt nicht zufällig auf “How Dare” und zitiert im Intro eine Gospel-Passage aus dem Film “Brother, Where Are Thou” der Coen Brothers (mit George Clooney und John Turturro), das Theo zu diesem Song inspirierte – eine Mischung aus Gospel, Bluegrass und Southern Folk. Ungefähr so… Oje!